Nach einer sorgfältigen Restaurierung wurde das Castello San Materno, dank des glücklichen Abkommens zwischen der Gemeinde Ascona und der Kulturstiftung Kurt und Barbara Alten, zur neuen Heimat der Gemäldesammlung der Familie Alten, welche ab 1979 in einer Zeitspanne von 30 Jahren durch die gemeinsame Sammelleidenschaft von Kurt Alten und seiner Frau Barbara entstanden ist.
Kurt Alten (1925-2009), der Gründer der Stiftung, war ein Ingenieur, der es mit einfallsreichem Weitblick auf dem Gebiet der Verladetechnik zu außerordentlichem Erfolg gebracht hatte. Seine Fortune begann im Jahr 1957, als er die fahrbare Überladebrücke erfand, eine innovativen Idee auf einem expandierenden Markt erfand. Kurt Alten, der diese Produkte für die Verladung an der Rampe in der Alten Gerätebau GmbH Wennigsen und unter dem Markennamen hafa fortentwickelte, stieg bald zum europäischen Leader im Bereich der Verladetechnik auf. Der grosse Erfolg dieses Mannes wurde, wie es so oft geschieht, bis ans Ende seines Lebens von seiner Frau, Barbara Alten, begleitet und unterstützt.
Diese wichtige Kunstsammlung vereint mehr als 40 Werke von im deutschsprachigen Raum wirkenden Malern, die in der Zeit vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis zu den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg zur Kunstelite zählten. So finden wir hier die Impressionisten Max Liebermann und Lovis Corinth und die Künstler der Schule von Worpswede (Fritz Overbeck, Hans am Ende, Otto Modersohn und Paula Modersohn-Becker) dieses letzten Bollwerks der deutschen Romantik des 19. Jahrhunderts, das dann den Übergang vom menschlich-sozialen Realismus zum Impressionismus und schließlich zum Expressionismus zeichnen sollte. Diese Strömung ist in der Sammlung durch mehrere Künstler der Brücke (Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Hermann Max Pechstein, Emil Nolde) und des Blauen Reiters (Alexej Jawlensky, August Macke) vertreten, dieser zwei Künstlervereinigungen, die expressionistische Konzepte im deutschsprachigen Raum verbreitet haben: den vitalistischen und sozial geprägten Expressionismus in Dresden und Berlin und den lyrisch-visionären in München.
Die Worpsweder Künstler der Kunstsammlung Alten stehen in besonderer Beziehung zur Geschichte von Ascona; denn viele von ihnen haben – direkt oder indirekt durch den Monte Verità – die Kunstszene Asconas bereichert und belebt. Man denke nur an die Ausdruckstänzerin Charlotte Bara (eigentlich Bachrach), die ihre Ausbildung in Worpswede erhalten und sich mit dem Architekten Carl Weidemeyer angefreundet hatte, der für sie in Ascona das heutige Teatro San Materno errichtete, welches dem Schlösschen gegenübersteht. Bis zu ihrem Tod lebte sie im Castello San Materno, dem heutigen Sitz der Kunstsammlung der Kulturstiftung Kurt und Barbara Alten.
Darüber hinaus stand die Künstlerkolonie Worpswede – sie wurde 1889 gegründet und dauerte bis in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts fort – auf das Engste auch mit der Geschichte und den Protagonisten des Monte Verità und deren philosophischen Bezügen auf die »Lebensreform« in Verbindung, die in ganz Europa, von Norden bis Süden, zahlreiche Lebens- und Arbeitsgemeinschaften von Künstlern und Intellektuellen hervorbrachte, die den Fortschritt und die Zivilisation ablehnten. Dieses Netz steht dank der Verflechtung mit individuellen Geschicken auch in direkter Beziehung zur »Lebensreform« wie sie in der Monte-Verità-Gemeinschaft in Ascona gelebt wurde. Diese lebensreformerische Kolonie machte Ascona, von ihrer Gründung im Jahr 1900 bis über den Zweiten Weltkrieg hinaus, zu einem Pilgerziel von Naturisten, Theosophen, Anarchisten, Psychoanalytikern und politisch Verfolgten, aber auch von Malern, Bildhauern und Tänzern, die hier Utopien und neue Lebensformen experimentierten und in ganz Europa verbreiteten.
Mit der historischen Avantgarde, die in der Kunstsammlung Alten durch die Künstler der Brücke und des Blauen Reiters vertreten ist, tritt erneut die enge Verbindung zu Ascona in Erscheinung, das dank der Anwesenheit zahlreicher dieser Bewegung angehörender Künstler besonders in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen zu einer Wiege des zweiten europäischen Expressionismus geworden war. Man denke allein an Jawlenskys Aufenthalt von 1918 bis 1922 und an den Verbleib von Marianne Werefkin sogar bis zu ihrem Tod im Jahr 1938.
Es erscheint also offenkundig, dass die Sammlung Alten durch ihre Werke und durch ihre Künstler einen grossen historischen und kulturellen Wert in sich trägt. So war ein ausschlaggebendes Kriterium bei der stilistischen Wahl der Werke auch die sogenannte »Stimmung«, die heute wieder in den erneuerten Innenräumen des Castello San Materno anklingt. Diese ganz und gar nicht leeren und anonymen Räume tragen eine von jahrhundertelanger Geschichte und Lebensart geprägte Stimmung in sich, die bestens mit dieser »passionierten« Sammlung harmonieren. Eine Sammlung die nun dem Publikum zugänglich wird, mit dem Wunsch, ein Mittel der gemeinsamen Anteilnahme, der Erfahrung, des Wissens und ein Ort der Schönheit und der Kultur zu werden.
(Mara Folini, 2014)